Am Mittwoch war wahrhaftig kein guter Tag für die sog. „Faktenchecker“. Und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks nicht. Bei uns verbot das Oberlandesgericht Karlsruhe der umstrittenen Organisaton „Correctiv“ per einstweiliger Verfügung den „Faktencheck“ einer Meinung als rechtswidrig. Auf der anderen Seite des Ozeans wagte Twitter eine Attacke auf seinen Großkunden Donald J. Trump. Die Kritik an Trumps Reaktion ist begründet, allerdings stehen ihm rechtlich Möglichkeiten offen, die hierzulande völlig übersehen wurden.
„Der Online-Dienst Twitter hat erstmals Kurznachrichten von US-Präsident Donald Trump mit Warnhinweisen versehen und einem Faktencheck unterzogen. Trumps Tweets über eine vermeintliche Betrugsgefahr bei Briefwahlen ‚enthalten potenziell irreführende Informationen über Wahlprozesse‘, teilte Twitter mit. Daher seien sie gekennzeichnet und um zusätzlichen Kontext zu Briefwahlen ergänzt worden,“ berichtete tagesschau.de.
Die Reaktion von Trump auf diese Massnahme kam prompt. Er tweetete am 27.05.2020:
„Republicans feel that Social Media Platforms totally silence conservatives voices. We will strongly regulate, or close them down, before we can ever allow this to happen.“
Die Drohung, ein Unternehmen, dass seine politische Äußerung in Zweifel zieht, schliessen zu wollen ist ebenso töricht wie auch in den USA unmöglich und verfassungswidrig. Es dokumentiert auch ein äußerst fragwürdiges Verständnis von Demokratie und Meinungsfreiheit. Dass die sozialen Medien auch in den USA allerdings eine deutliche politische Schlagseite haben, hat selbst Facebook-Chef Mark Zuckerberg im Kongress eingeräumt.
„First, I understand where that concern is coming from because Facebook and the tech industry are located in Silicon Valley, which is an extremely left-leaning place.“
Das entscheidende Problem mit dem redigierenden Eingriff von Twitter liegt aber in einem ganz anderen Bereich, der in der hiesigen Berichterstattung nicht thematisiert wurde. Und zwar in Section 230 des Communications Decency Act. Diese richtungsweisende Vorschrift der Gesetzgebung für das Internet in den USA stellt die sozialen Medien weitestgehend von jeder Haftung für Inhalte Dritter frei.
„No provider or user of an interactive computer service shall be treated as the publisher or speaker of any information provided by another information content provider.“
Wenn sie sich aber wie Verlagshäuser publizistisch einmischen, redigieren, bewerten oder kommentieren, so wie Twitter das jetzt erstmals gemacht hat, verlassen sie diesen privilegierten Bereich der stark beschränkten Haftung und laufen Gefahr, wie normale Verleger (publisher) behandelt zu werden. Dies würde zu drastisch erhöhten Haftungsrisiken führen. Damit droht Trump. Und das ist rechtlich begründet und daher ernst zu nehmen. Mark Zuckerberg hat diese Gefahr sofort erkannt und sich umgehend distanziert:
„Ich glaube einfach fest daran, dass Facebook nicht der Schiedsrichter über die Wahrheit bei allem sein sollte, was die Leute online sagen.“
Er könnte seiner Äußerung hierzulande besondere Glaubwürdigkeit verleihen, wenn der die sinnlose Zusammenarbeit von Facebook mit „Correctiv“ umgehend beendet. Und mal ehrlich: Wer will denn schon mit einem Faktenchecker arbeiten, dem von einem Oberlandesgericht rechtswidrige Faktenchecks ins Stammbuch geschrieben wurden?
Update: Zwei Stunden nach dem Erscheinen dieses Artikels ist genau das geschehen, was oben als mögliche Option beschrieben wurde:
„The executive order that Mr. Trump signed on Thursday strips liability protection in certain cases for companies like Twitter, Google and Facebook for the content on their sites, meaning they could face legal jeopardy if they allowed false and defamatory posts.“
Update 2: Anders als in Deutschland haben Gerichte in den USA, soeben erst ein Berufungsgericht in Washington D.C., gegen Nutzer entschieden, die gegen die großen Internetkonzerne wegen deren Eingriffen in die Meinungsfreiheit klagen. Dort heisst es, Facebook, Twitter & Co. seien keine staatlichen Akteure, weshalb man sich ihnen gegenüber nicht auf den ersten Verfassungszusatz (Freedom of Speech) berufen könne. In Deutschland ist das möglich, hier unterliegen die Konzerne als Quasi-Monopolisten (so OLG Dresden u.a.) einer mittelbaren Grundrechtsbindung. Die Anordnung von Trump könnte somit den durchaus positiven Effekt haben, das auch Nutzer in den USA sich mit Aussicht auf Erfolg gegen Grundrechtseingriffe von Facebook, Twitter usw. vor Gericht werden wehren können. Vor diesem Hintergrund sollte nicht vergessen werden, dass auch Trump sich schon vor Gericht verantworten musste, weil er Twitter-Nutzer unzulässig blockiert hatte.
Zur Abrundung ein Blick auf das Twitter-Profil von Yoel Roth, dem Chef der „Site Integrity“ von Twitter, der die „Gemeinschaftsstandards“ verfasst und durchsetzt. Roth nannte Trump und seine Mitarbeiter “ACTUAL NAZIS,” den Mehrheitsführer im US-Senat Mitch McConnell mit einem „Pfurzsack“ (bag of farts) und bezeichnete alle Trump-Unterstützer als Rassisten. Das darf er ja so sehen und das darf er auch sagen. Ob das allerdings ein überzeugender Beleg für die gebotene Neutralität der Plattform ist, darf man bezweifeln. Aber was solls, Twitter-Chef Dorsey hat ja schon 2017 in einem Podcast offentlich erklärt, „Ich glaube nicht, dass wir es uns erlauben können, weiter neutral zu sein.“
© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2020
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