Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat heute, am 12.06.2017, ein Gutachten abgeschlossen, das sich mit der Frage befasst, ob der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das von Justizminister Maas verfasst und von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD in erster Lesung am 19.05.2017 im Bundestag behandelt wurde, mit der verfassungsrechtlich verankerten Meinungsfreiheit vereinbar ist. Dieses Gutachten liegt mir in vollem Umfang vor.
In einem Gutachten vom 29.05.2017 ist der Wissenschaftliche Dienst bereits zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gesetzentwurf jedenfalls auch europarechtswidrig sei. Vor wenigen Tagen wurde eine Anfrage des Sonderbeauftragten der UN für die Meinungsfreiheit, David Kaye, an die Bundesregierung bekannt. Danach wecke der Gesetzentwurf schwerwiegende Bedenken hinsichtlich seiner Eingriffe in die Meinungsfreiheit und des Rechts auf Anonymität. Insbesondere sah der Sonderbeauftragte Verstöße gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II), den auch die Bundesrepublik ratifiziert hat. Die Bundesregierung wurde innerhalb von 60 Tagen zu einer Stellungnahme aufgefordert.
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten….“, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG (Meinungsfreiheit).
Die vom Wissenschaftlichen Dienst in dem Gutachten zusammengefasste Kritik an dem Gesetzesvorhaben deckt sich vollständig mit den vom Verfasser dieser Zeilen seit Januar 2017 formulierten Bedenken.
„Kritiker sehen aufgrund der festen – insbesondere kurzen – Löschfristen und die hohe Bußgeldandrohung (sic!) (bis zu 5 Mio. Euro bzw. 50 Mio. Euro)…eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Derartige – in vielen Fällen auch existenzbedrohende – Bußgeldandrohungen erhöhten das Risiko, dass Unternehmen ohne sorgfältige vorherige Prüfung und vor allem in Zweifelsfällen auch legale Inhalte entfernten (sog. „Overblocking“). In der Bußgeldandrohung wird somit auch ein Einschüchterungseffekt (Chilling-Effekt) gesehen, dass aus Angst vor Sanktionen auch rechtmäßige Äußerungen gelöscht werden…Die Meinungsfreiheit sei demnach bereits aufgrund der zu kurzen Prüfungsfristen nicht gewährleistet. Ferner würden ‚die Belange des sich Äußernden nicht berücksichtigt’…Die vorgebrachten Einwände lassen zumindest einen mittelbaren Eingriff des Staates erkennen. Die Vorgaben geben zahlreiche und nachhaltige Anreize für Diensteanbieter, als private zwischengeschaltete Instanz vorsorglich Inhalte zu löschen oder zu sperren, welche sich in einer gerichtlichen Überprüfung als rechtsmäßig erweisen könnten. Eine dem Staat zurechenbare Grundrechtsbeeinträchtigung ist zu erwarten. Im Ergebnis kann eine Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Entfernung grundrechtlich geschützter Inhalte von Nutzern nicht ausgeschlossen werden. § 3 (des Gesetzentwurfs, d. Verfasser) stellt demzufolge einen Eingriff in die Meinungsfreiheit dar.“ Hervorhebungen durch den Verfasser.
Ein solcher Eingriff kann zwar unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein. Und zwar, so das Bundesverfassungsgericht, wenn er einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist. Diese Voraussetzungen seien aber nicht gegeben. Es sei bereits schwierig zu bestimmen, wann eine Meinungsäußerung rechtswidrig und wann sie noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei. Die Begriffe „Hate Speech“ und „Fake News“ seien mangels klarer gesetzlicher Definition problematisch. Vernichtend auch die Klarstellung in dem Gutachten, wonach „Studien über die Zahl und Entwicklung der Häufigkeit der Fälle von Hasskriminalität und anderen Fällen strafbarer Inhalte einschließlich der vom Gesetzentwurf erfassten Falschnachrichten (Fake-News)“ nicht angegeben würden. Auch Beispiele würden nicht genannt. In Fußnote 56 heisst es:
„Weitere Beispiele für die schwierige Beurteilung von strittigen Inhalten und von Hasskommentaren können anhand der vielfach intransparenten Lösch- und Nicht-Löschpraxis von Facebook auf dem Portal von Joachim Nikolaus Steinhöfel ‚Wall of Shame’ eingesehen werden, abrufbar unter https://facebooksperre.steinhoefel.de/.“
Es bestünde demnach stets die Gefahr, dass auch rechtmäßige Inhalte entfernt oder gelöscht werden. Insbesondere die hohe Bußgeldandrohung von bis zu 50 Millionen Euro und die kurzen Fristen, gerade bei den vermeintlich offensichtlichen Fällen, verstärkten diese Vermutung.
Weiter führten die begrenzten Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen „zu erheblichen Zweifeln an der Angemessenheit des Eingriffs“ in die Meinungsfreiheit.
Das Fazit des Wissenschaftlichen Dienstes ist eindeutig. Der Gesetzentwurf ist (auch noch) verfassungswidrig:
„Dieser Eingriff erscheint nach Abwägung der erörterten Belange nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein.“
Und weiter:
„Meinungsfreiheit ist in einem freiheitlichen demokratischen Staatswesen ein essentielles Gut. Sie ist für eine freiheitlich-demokratische Ordnung konstituierend. Nur in besonderen Fällen darf das verfassungsrechtlich verankerte Grundrecht der Meinungsfreiheit beschränkt werden. In Zweifelsfällen hat das Bundesverfassungsgericht regelmäßig zugunsten der Meinungsfreiheit entschieden. Mit den vorgesehenen Regelungen im Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes wird in dieses Recht eingegriffen. Bei der Güterabwägung im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung ist hervorzuheben, dass es schon bei der begrifflichen Abgrenzung der zu löschenden rechtswidrigen Inhalte und strafbaren falschen Nachrichten („Fake News“) erhebliche Schwierigkeiten gibt. Orientierungshilfen, Beispiele oder Hinweise auf ausgewählte Beispiele für offensichtlich rechtswidrige, rechtswidrige oder strafbare Inhalte werden im Gesetzentwurf nicht angegeben. Es wird lediglich auf ein Monitoring-Bericht des jugendschutz.net zu Löschgeschwindigkeit und -umfang hingewiesen mit dem Ergebnis: Es werde zu langsam und zu wenig gelöscht. Dagegen wären zur ordnungsgemäßen Beurteilung der Gefahr durch die Verbreitung von Hasskriminalität und strafbaren falschen Nachrichten („Fake News“) aber Angaben über Zahl, Entwicklung der Fälle und Studien über die vermuteten destruktiven Wirkungen äußerst hilfreich. Diese werden nicht angegeben.“
Bereits im Januar 2017 ist der Verfasser, in einem Text weit weniger wissenschaftlich formulierend, zu demselben Ergebnis gelangt.
„Ich freue mich schon auf den Gesetzesentwurf von Justizminister Maas (SPD)…Die einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichts gegen diesen Rechtsunsinn liegt auf dem Tisch, bevor das Frühstücksei gekocht ist.“
Besser wäre gewesen, hätte sich Justizminister Maas an seit etwa einem Monat vorliegenden Getzesentwürfen orientiert, die europarechtskonform und verfassungsmäßig sowie effizient gewesen wären.
Mein besonderer Dank und Respekt gilt den Bundestagsabgeordneten, denen die Erstellung dieses wichtigen Gutachtens zu verdanken ist. Und die sich nicht von Apparatschicks der Machtorganisation, denen fundamentale Verfassungswerte offenbar als lästige Hindernisse beim Machterhalt erscheinen, haben einschüchtern lassen!
© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2017
Leider hat es die fürchterlichen Juristen der BRD bzw. willigen Vollstrecker politischer Vorgaben noch nie interessiert, wenn sie sich an Grund- und Menschenrechten vergriffen – so sich das Ganze nur „gegen rechts“ richtete. Eins der letzten Beispiele: Das NPD-Verbotsverfahren, an dessen Ende ausgerechnet der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Vosskuhle den grundgesetzwidrigen Wink mit dem Zaunpfahl gab, die NPD, wenn schon übergeordnetes europäisches Recht entgegen stand, nun doch auf „kaltem Wege“ abzumurksen: Durch Entzug der Staatszuwendungen, die man früher weithin als Wahlkampfkostenerstattung bezeichnete. Auf die Steuern und Abgaben, auf das „Nazigold“ der so Diskriminierten, will man freilich nicht verzichten.
Im übrigen bin ich der Meinung, daß alle Gesetze der BRD, die die freie Meinungsäußerung verhindern, insbesondere der Volksverhetzungsparagraph, auf den Misthaufen der Justiz gehören!
Wieviele Sachbearbeiter, Referenten, Linguisten, Kommunikatoren waren eigentlich und wie lange beschäftigt um diese Orwellsche Formulierung „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ oder so ähnlich auszubrüten.
Ein Titel der nichts aber auch gar nichts aussagt? Oder vielleicht doch: Durchsatz, durchsetzen. Betonung auf der 2. Silbe.
Was ich persönlich als ganz schlimm empfinde, ist die Tatsache im persönlichen Gespräche immer wieder erfahren zu müssen, wie wenig es die Menschen (aus meinem Umfeld, durchaus honorige Menschen) kümmert, was da auf dem Wege ist.
Der Maas ist Voll…..aber der deutsche ist geduldig,mit seiner Produce Consume Die Mentalität wird der noch viel mehr über sich ergehen lassen!
Ein erheblicher Teil dieser sogenannten ‚Hasskommentare‘ dürften von denjenigen geschrieben werden, die von ihnen leben.
Gibt es einen bekannten Fall, wo die Meinung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages irgendwem im Parlament oder in der Regierung interessiert hat?
Ich dachte, dass ist sowas wie der Bundespräsident und es ist nur so zum reden und angucken da.
Ich kann nur ernüchtert staunen, wenn ich solche Sachen hier, auf der Achse bzw. bei Tichy etc. lese. Und zwar nicht nur was Heiko Orwell sondern auch seines Gleichen in ihrem Wahn in die Wege leiten. Sei es nun gegen Rechte, andere Meinungen oder schlicht gegen alle Lebensvorstellungen, denen nicht das Prinzip zugrunde liegt, wir haben uns alle lieb.
Dem BP Wulff wurde monatelang wegen vermuteter Vorteilsnahme nachgestellt bis sie ihn letztlich mürbe hatten.
Hier geschieht ein Angriff nach dem nächsten auf die Meinungs-, Rede- und Medienfreiheit (siehe auch AAS, Correctiv) und nichts geschieht bei BILD, ÖR und CO.
Das was Sie schreiben lesen doch auch viele, ich nenn sie mal kompetente und vernetzte Leute. Warum werden die nicht laut öffentlich aktiv und jagen solche Emporkömmlinge wie Maas und CO zurück auf einen angemessenen Job z.B. in der PKW Zulassungsstelle (Nummernschilder abkratzen).
Dort könnte er nicht so viel Schaden anrichten.
Alle schauen auf diesen lächerlichen, wenn auch gefährlichen Maas – Zensur – Versuch. Wesentlich brisanter erscheint mir, die EU Datenschutz Grundverordnung, gegen die nun glücklicherweise Klage eingereicht wurde. Diese ist so angelegt, dass jeglicher Journalismus, jede Meinungsäußerung, durch die jeweilige Interpretation der Kommission unmöglich gemacht würde.
Und jener Justizminister ist tatsächlich Jurist???
Kann das vielleicht mal einer irgendwie irgendwo nachschauen?
Wann wird dieser unsägliche Minister am besten gleich mit der Verteidigungsministerin aus dem Kabinett gefeuert? Wann wird die Presse diese Ungeheuerlichkeiten in die breite Öffentlichkeit tragen? Wann wird das Volk endlich wach? Vielen Dank Herr Steinhöfel. Gruß Paul Minz
Mal eine naive Frage. Was passiert, wenn ein Gesetz vom Verfassungsgericht gekippt wird, aber sich die Bundesregierung nicht darum schert? Welche Durchsetzungsmöglichkeiten hat das Verfassungsgericht?
Maasdammer
Super
Netzdurchfallgesetz wäre wohl der passendere Name für diesen Unsinn. Hier fällt geistiger Durchfall auch rechtlich unten durch.