Der Kampf um die Meinungsfreiheit beginnt

Ich freue mich schon auf den Gesetzesentwurf von Justizminister Maas (SPD), der die Forderungen seines Parteikollegen Oppermann und von CDU-Fraktionschef Kauder umsetzen und Plattformen wie Facebook „empfindliche Bußgelder bis zu € 500.000,00“ androhen soll, wenn „fake news“ nicht „binnen 24 Stunden gelöscht“ würden. Die einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichts gegen diesen Rechtsunsinn liegt auf dem Tisch, bevor das Frühstücksei gekocht ist.

Obwohl sich der Vergleich unserer demokratischen Institutionen mit dem Unrechtsstaat DDR verbietet, fühlt man sich angesichts dieser Gesetzgebungsvorhaben an den Straftatbestand „Staatsfeindliche Hetze“ erinnert: Ein in der DDR als Staatsverbrechen eingestuftes Delikt (§ 106 StGB), das mit möglichst vage gehaltenen Rechtsbegriffen u. a. den Angriff oder die Aufwiegelung gegen die Gesellschaftsordnung der DDR durch „diskriminierende“ Schriften und Ähnliches unter Strafe stellte. Unter dem Vorwurf der „staatsfeindlichen Hetze“ wurden viele Oppositionelle der DDR verhaftet. Die Formulierungen des Paragraphen waren so unbestimmt, dass fast jede kritische Äußerung strafrechtlich verfolgt werden konnte. Noch schlimmer ist, dass der Gesetzentwurf aus dem Hause Maas auch so lauten könnte:

„Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl der Bundesrepublik oder eines Landes oder das Ansehen der Bundesregierung oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbänden schwer zu schädigen, wird…bestraft.“

Dieses Gesetz stammt aus der Nazizeit, vom 20. Dezember 1934, bekannt unter dem Begriff Heimtückegesetz. Es schränkte das Recht auf freie Meinungsäußerung ein und kriminalisierte alle kritischen Äußerungen, die angeblich das Wohl des Reiches, das Ansehen der Reichsregierung oder der NSDAP schwer schädigten.

„Hate Speech“ und „Fake News“, was soll das sein? Wahlkampfversprechen wie „Die Rente ist sicher?“ oder „Wir schaffen das?“

Die Verwendung des Begriffs „Wirtschaftflüchtling“, den eine mit Millionen von Steuergeldern subventionierte linksextreme Stiftung als „rechte Hetze“ brandmarkt? Oder die offizielle Pressemitteilung der Polizei, wonach es in Köln vor einem Jahr eine ruhige Silvesternacht gegeben habe? Wer verwendet diese Begriffe und warum? Die Formeln sind ungenau, schwammig und Instrument von Akteuren, die jenseits der Gesetze auf den Trichter gekommen sind, zulässige Meinungsäußerungen, die ihrer politischen Ausrichtung zuwider laufen, zu kriminalisieren. Das permanente Operieren mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Hate Speech“ oder „Fake News“ ist deshalb so geschickt, weil es Verunsicherung in die öffentliche Debatte trägt und zur Verängstigung der Menschen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte führt.

Wir brauchen keine neuen Gesetze!

Facebook und Konsorten sowie die dort Agierenden können auch nach aktuellem Recht hinreichend zur Verantwortung gezogen werden. Das Zivilrecht gibt mit den §§ 823 ff. BGB bei Beleidigungen, unwahren Tatsachenbehauptungen oder Schmähkritik ein hinreichendes Instrumentarium, das auch gegenüber sozialen Netzwerken ohne weiteres eingesetzt werden kann. Es wird ergänzt durch die strafrechtlichen Vorschriften von Beleidigung, übler Nachrede, Nötigung, Bedrohung, Volksverhetzung und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Bei einem Strafmaß von bis zu fünf Jahren Haft ist jegliche weitere Gesetzgebung völlig entbehrlich. Hass mag man aus moralischen Gründen ablehnen. Meinungen und Überzeugungen sind aber straffrei. Wir haben – und brauchen – kein „Gesinnungsstrafrecht“.

.Was die Politik von Facebook an Löschleistung verlangt, ist ebenfalls abwegig. Was leicht zu belegen ist: Die renommierten Pressekammern der deutschen Landgerichte verfügen über ca. 3,5 Richterstellen und müssen pro Jahr 800-1000 Verfahren bewältigen. Wenn man in einem Eilverfahren schon einmal 14 Tage auf die einstweilige Verfügung wartet, sagt das alles über das, was professionelle Richter bei sorgfältiger Arbeit zu leisten vermögen. Und jetzt sollen Amateure bei Facebook am Tag so viele Fälle bearbeiten, wie drei bis vier Berufsrichter im Jahr? Oder soll Facebook mehr Juristen einstellen, als der deutsche Staat seinen Bürgern zur Gewährleistung staatlichen Rechtsschutzes zur Verfügung stellt? Wollen Maas & Co., die sonst gerne gegen Privatisierung zu Felde ziehen, die Entscheidungen über die Verletzung deutschen Rechts von den Fachgerichten an anonyme Löschkommandos in Irland oder Pakistan outsourcen? Tatsächlich würde hier mit gesetzgeberischem Zwang ein rechtliches Paralleluniversum implementiert, das faktisch Unmögliches leisten soll. Um die drakonischen Strafen zu vermeiden, wird Facebook im Zweifel die Löschtaste heiß laufen lassen. Womit über einen eleganten Umweg die freie Ausübung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt würde. Rechtzeitig zur Bundestagswahl. Und nur darum geht es Kauder, Oppermann, Maas und Co.

Aber nicht nur deswegen ist das groteske Gesetzesvorhaben, schon aus verfassungsrechtlichen Gründe, zum Scheitern verurteilt. Es diskriminiert Facebook gegenüber anderen Medien und verletzt auch den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung (Art. 3 GG). Anders als bei Zeitungen, beim Radio oder beim Fernsehen stammen die beanstandeten Meldungen oder Äußerungen nicht einmal von der Plattform selbst. Facebook aber soll nach Kenntnis in 24 Stunden löschen, während andere Medien, von der Yellow Press bis zu „Bild“, vom „Deutschlandfunk“ bis zum „ZDF“ in der Regel mindestens 1-2 Wochen haben, bis die einstweilige Verfügung auf dem Tisch liegt. Und das sind angesichts von tausenden von presserechtlichen Verfahren in Deutschland pro Jahr nicht wenige falsche Tatsachenbehauptungen oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Ein befreundeter Anwalt nannte die „Bild“-Zeitung einmal eine „Persönlichkeitsrechtsverletzungsmaschine“. Auch die Rechtsabteilungen anderer „Qualitätsmedien“ haben gut zu tun.

Das Vorhaben ist also nicht nur nicht umsetzbar, sondern auch diskriminierend. Es ist auch argumentativ nicht zu rechtfertigen, warum Facebook hier genötigt werden soll, so viel schneller zu reagieren, als eine beliebige Tageszeitung. Und es ist auch nicht plausibel, warum Bußgelder von bis zu € 500.000,00 in Rede stehen, während der gesetzliche Höchstrahmen bei Verstößen gegen einstweilige Verfügungen, der der Presse maximal droht, lediglich die Hälfte beträgt.

Die angekündigten Gesetze wären in mehrfacher Hinsicht verfassungswidrig, sie sind überflüssig und dienen lediglich dem Zweck, der Politik die Herrschaft über den entgleitenden zivilgesellschaftlichen und politischen Diskurs zurück zu verleihen. Bei all seinen erheblichen und selbstverantworteten Schwächen ist Facebook das Forum Romanum des digitalen Zeitalters und verdient im Kampf um die Bewahrung der Meinungsfreiheit Unterstützung.

Nur bei zwei bislang nicht erörterten Punkten gäbe es Handlungsbedarf. Den sozialen Netzwerken sollten aufgegeben werden, eine im Inland liegende Zustelladresse im Impressum zu benennen, an die Abmahnungen, einstweilige Verfügungen und Klagen gerichtet werden können. Dies würde jegliche Verfahren ganz massiv beschleunigen, vereinfachen und die Justiz entlasten. Und auch wenn die Klagemöglichkeit gegen ungerechtfertigte Sperrungen jetzt schon gegeben ist, wäre eine klare Regelung hilfreich, die Sperrungen untersagt und Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche einräumt, wenn sich der Betroffene im Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 GG bewegt hat. Vermutlich werden wir darauf angesichts der fachlichen Qualität des Justizministers aber noch lange warten dürfen.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel

Zuerst erschienen in der Printausgabe von „Tichys Einblick“.

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Kommentare

  1. Wyatt

    Wie setzt sich denn das Verfassungsgericht zusammen? Da sitzen doch die in Berlin abgehalfterten Politiker als Verfassungsrichter die von den Parteien dort hin geschickt werden nach Proporz, so wie die sich in Berlin einig sind sind die sich auch in Karlsruhe einig sonst werden sie ausgetauscht. die haben doch dort alles abgenickt. Und wenn die schon mal ein Urteil gefällt haben gegen die in Berlin, dann haben die das einfach nicht umgesetzt

  2. Voegele

    Ich bin mir da gar nicht sicher ob das Verfassungsgericht dies verbieten wird. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Das System kämpft um das überleben.

  3. Ulrich Popov

    „Obwohl sich der Vergleich unserer demokratischen Institutionen mit dem Unrechtsstaat DDR verbietet,…“ – In erster Linie aber auch deshalb, weil die DDR das alles, aber nicht in dieser Masse und mit dieser Militanz, heimlich gemacht hat. Die heute beschworenen demokratischen Mittel und Möglichkeiten erlauben es diesem Staat und seinen Funktionsträgern das ganz unverschämt und ohne Rücksicht auf die „die schon länger hier sind“ in aller Öffentlichkeit ohne jede Scham zu machen. – Finde den Fehler!

  4. Sebastian Hade

    „Die einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichts gegen diesen Rechtsunsinn liegt auf dem Tisch, bevor das Frühstücksei gekocht ist.“

    Theoretisch richtig und für alle, die an den Rechtsstaat glauben, unumgänglich. Aber ich habe mittlerweile leider auch kein besonderes Vertrauen mehr in das BVerfG.

  5. Axel Heinzmann

    Das linke Denunziantenpack hat mich schon vor ca. fünf Jahren mehrmals hintereinander angeschwärzt, und FB hat mich postwendend gesperrt bzw. rausgeschmissen. Ohne, daß ich etwas BRD-gesetzwidriges verbreitet hätte. Beschwerden bei FB: Unbeantwortet bzw. erfolglos. Rechtsweg: Sinnlos, da hierzulande nicht verklagbar wegen fehlender Anschrift.
    Von daher habe ich das Geschnatter und Gegacker in diesem asozialen Netzwerk
    weitgehend aufgegeben.
    Wenn die nun auch gleich noch am Grundgesetz vorbei nach Metternich- und Stasi-Art zensieren wollen, dann wohl auch, um erst einmal Angst zu machen. Bei Galileo Galilei reichte es ja auch, ihm die „Instrumente“ zu zeigen! Viele von uns werden sich fortan hüten und das System kann seine Lügen wieder ohne Gegenöffentlichkeit verbreiten. Und FB und Genossen werden sich fügen und ANTIFA und Kahane zu bezahlten Oberzensoren machen, zumal wir Selbstdenker zahlenmäßig zu wenige und für Primitivwerbung ohnehin nicht anfällig sind. So sehe ich das, lasse mich aber gern eines besseren belehren!

  6. A. Walter

    Gerichte inklusive das Verfassungsgericht gehören zum politischen System, also dienen sie auch diesem System und damit der jeweiligen politischen Führung. In welchem Land der Welt, egal ob mit demokratischen oder diktatorischem System ist denn das nicht der Fall? Insofern wird eine Verfassungsbeschwerde leider nicht mehr als maximal eine kleine Pressenotiz zur Folge haben.

  7. M. Hans Mayer

    Lieber Herr Steinhöfel,
    einer entsprechenden Verfassungsbeschwerde werde ich mich anschließen.
    Obwohl ich überzeugter Facebook-Gegner bin.
    Beste Grüße
    M. Hans Mayer

  8. wolfgang schmid

    Es ist nur konsequent, die Rechtsprechung den jeweiligen (Rechts-) Räumen anzupassen. Dies ist ein Beitrag zur Privatisierung der Rechtspflege hin zu mehr Diversizität und Bürgernähe. Im Umkehrschluss zum Kant’schen Imperativ wird jeder so verurteilt, wo und wie er sich benimmt. In den Vereinsheimen von Rockerclubs gelten ja jetzt auch schon andere Gesetze und sind die Verfahren deutlich gestrafft. Oder in deutschen Scharia-Gebieten… Folglich kann man auch im Raum Internet – wo z.B. Beleidigungs- und Urherberdelikte traditionell leichter zu bewerkstelligen und schwerer zu ahnden sind – ein anderes Regel- und Strafvollzugswerk anwenden. Bereits jetzt gibt es dort ja Strafen, die im öffentlichen Leben noch(!) undenkbar sind, wie z.B. mehrtägigs Zwangs-Pausieren der Geschäftsfähigkeit oder Löschen der Existenz. Insofern ist es nur folgerichtig, dass der Junstizminister die Arbeit der ineffizienten deutschen Gerichte Privatfirmen überträgt. Als nächstes werden dann auch BGB, StGB und Justizvollzug gestrafft in Billiglohnländer verlegt – auf die Teufelsinsel z.B. … [Ironiemodus aus!]

  9. Schlüssige Ausführungen, danke!
    Falls wir tatsächlich dennoch ein quasi „Wahrheitsministerium“ bekommen sollten, werde ich mir ganz sicher jeden Tag ein paar Minuten nehmen und als gesetzestreuer Bürger, die FakeNews der Öffentlich Rechtlichen dementsprechend denunzieren. Soviel Zeit muss sein, das wird dieses Ministerium sicher maaslos freuen…

  10. Alex Schindler

    „Die einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichts gegen diesen Rechtsunsinn liegt auf dem Tisch, bevor das Frühstücksei gekocht ist.“

    Da wäre ich mir bei diesem mittlerweile extrem linksdrehenden BVerfG gar nicht mal so sicher. Worüber ich mir allerdings sicher bin ist, dass ich im Falle eines Falles mir jeden Tag eine Stunde Zeit nehmen werde, um staatliche und staatspopulistische (ARD, ZDF …) Verlautbarungen in den „sozialen Medien“ als „Fake News“ oder als „Hate Speech“ beim Wahrheitsministerium anzuzeigen. Der Schuss könnte für unsere Qualitätsregierung nämlich auch nach hinten losgehen.

  11. Cornelia G.

    Wenn das Bundesverfassungsgericht diese Klage aus unerfindlichen Gründen abweisen sollte – dann sollten Sie umgehend weiterziehen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte! Für dieses… Machwerk haben die Beteiligten eine schallende Ohrfeige von den Gerichten verdient!

  12. Anna Reinke

    Glauben Sie tatsächlich, das Bundesverfassungsgericht versteht sich noch ausschließlich als Verteidiger des Grundgesetzes? Ich wünschte, ich könnte da auch so sicher sein. Schließlich hat es Schachtschneiders Verfassungsbeschwerde zur Migrationsproblematik gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Vor kurzem habe ich wieder den Film „Das Urteil von Nürnberg“ gesehen…

  13. Robert Korn

    Als ehemaliger Kollege kann ich Ihnen nur zustimmen – „Rechtsunsinn“ triffts! Daß unser Justizminister fachlich nicht die hellste Kerze auf der Torte ist, bedarf keiner weiteren Nachweise. Aber der Oppermann war doch mal Verwaltungsrichter, der sollte eigentlich wissen, daß das gesamte Vorhaben für die Tonne ist…??

  14. Chris

    Nur aus Bock werde ich mal ein Facebookprofil einrichten und dort jede Menge Fakenews über Sie verbreiten:
    – Herr S. wurde wegen des Nutzens von Kinderpornographie zu einer hohen Geldstrafe verurteilt
    – Gegen Herrn S. wird wegen eines Verkehrsunfalles mit Todesfolge und anschließender Fahrerflucht ermittelt
    – Herrn S. Daten wurden in einer Stasi Datei gefunden.
    etc.
    Und dann lieber Herr Steinhöfel versuchen Sie mal ganz schnell Facebook dazu zu bekommen diese Meldungen zu löschen, bevor sie sich immer weiter im Internet ausbreiten. Jede wette, Sie werden plötzlich zu einem der größten Befürworter des Gesetzes, wenn Sie damit FB zwingen können binnen 24 Stunden diese Meldungen zu löschen. Jede Wette.

    Und wenn dieses Gesetz so illegal ist, werden Sie als Anwalt ja sicher dagegen angehen.

  15. Alf Frink

    Aus dem Text entnehme ich, dass Sie bereit sind, juristisch den Kampf für die Meinungsfreiheit gegen die Bundesregierung aufzunehmen. Danke, Herr Steinhöfel!