Hamburger Polizei wird schriftlich zur Strafvereitelung angewiesen

Seit Januar 2014 ist die sog. „Dublin III“-Verordnung in Kraft. Diese bestimmt, dass derjenige Mitgliedsstaat, in dem eine geflüchtete Person erstmals europäisches Territorium betritt, das Asylverfahren durchführen muss. Mitgliedstaaten, in denen diese Verordnung unmittelbar geltendes Recht ist, sind alle Mitgliedstaaten der EU sowie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein.

Geltendes Recht ist auch das bundesdeutsche Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Nach § 14 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet unerlaubt, wenn er einen erforderlichen Pass, Passersatz oder Aufenthaltstitel nicht besitzt. Verstöße gegen diese Vorschrift sind strafbar (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstafe).

In einer Phase, in der das Dublin-Abkommen ihrer Einschätzung nach nicht mehr funktioniert, greift Kanzlerin Merkel jetzt beherzt zur Selbstjustiz. Sie hat am vergangenen Wochenende das Dublin-Abkommen ohne parlamentarische Billigung oder sonstige rechtliche Befugnis im Alleingang außer Kraft gesetzt, um 20.000 Flüchtlingen aus Ungarn den Zugang nach Deutschland zu eröffnen. Das wurde als „einmalige humanitäre Aktion“ bezeichnet. Man mag die Tat als „humanitäre Aktion“ erachten. Oder daran Zweifel haben.

Ohne jeden Zweifel ist sie ein eindeutiger Rechtsbruch der Regierungschefin. Angela Merkel hat das in Deutschland geltende Recht der „Dublin III“-Verordnung ignoriert. Sie hat damit auch möglich gemacht, dass zigtausend Flüchtlinge sich in Deutschland durch Verstoß gegen das AufenthG strafbar machen.

Der britische Politologe Anthony Glees hat Deutschlands Vorgehen in der Flüchtlingskrise als „undemokratisch“ kritisiert. Im DLF sagte er, Berlin habe sich mit der Entscheidung, die in Ungarn gestrandeten Migranten aufzunehmen, nicht an EU-Regeln gehalten. In Großbritannien herrsche der Eindruck, die Deutschen hätten den Verstand verloren. „Man mag über Ungarn denken, was man will. Aber wenn Deutschland sich nicht an die Regeln hält, fällt die ganze EU auseinander“, sagte Glees. Deutschland gebe sich im Moment als „Hippie-Staat, der nur von Gefühlen geleitet wird“. Und von einer Kanzlerin, die Allmachtsphantasien zu hegen scheint.

Merkel hat mit ihrer populistischen Affekthascherei den Boden unserer verfassungsmäßigen Ordnung und unseres Rechtsstaates verlassen. Wenn die Regierungschefin eines demokratischen Rechtsstaates sich im Alleingang über Recht und Gesetz hinwegsetzt, ist das ein beispielloser Vorgang.

Dienstanweisung zur Strafverteitelung im Amt

Dienstanweisung zur Strafvereitelung im Amt

Polizisten in Hamburg, deren Aufgabe die Bekämpfung und Verhinderung von Straftaten ist, werden jetzt, als Folge des Merkelschen Alleingangs, dienstlich genötigt, wegzuschauen. Ein fatales Signal. Dies geht aus dem Schreiben des persönlichen Referenten des Hamburger Innensenators Neumann hervor, mit dem die Polizeibeamten der Hansestadt angewiesen werden, Verstöße von aus Ungarn stammenden Flüchtlingen gegen das AufenthG nicht zu verfolgen, um „Irritationen und Handlungsunsicherheiten“ zu vermeiden. Weiter ist in dieser mail zu lesen:

„Die aus Ungarn über Österreich eingereisten Flüchtlinge sind mit Wissen und Billigung der Bundesregierung und der Länder eingereist. Eine solche pauschal erlaubte Einreise ist im Gesetz zwar nicht vorgesehen; die eingereisten Flüchtlinge verfügen auch nicht über das eigentlich erforderliche Visum. Gleichwohl ist die Billigung durch die Bundesregierung eine Erlaubnis sui generis, die das Tatbestandsmerkmal der unerlaubten Einreise ausschließt.“

Mit welcher Dreistigkeit hier Gesetzesverstöße zwar eingeräumt („…im Gesetz zwar nicht vorgesehen…“), diese aber mit einem Federstrich als irrelevant erklärt werden, weil sie von der Bundesregierung stammen („…Gleichwohl ist die Billigung…eine Erlaubnis sui generis…“), zeigt ein Rechtsverständnis, das eines politischen Beamten unwürdig ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der gesamte Hamburger Polizeiapparat derart rechtswidrig gleichschalten lässt.

Der nachstehende Absatz (kursiv) wurde nach Eingang der Stellungnahme des Autoren der mail ergänzt:

Auf Anfrage bestätigte der Autor, Hauke Carstensen, die Authentizität der mail. Weiter:

„Es handelt sich bei den Inhalten weder um eine Anweisung noch Vollzugsinformation für die Hamburger Polizei!! Der Inhalt zielt vielmehr auf eine genaue Prüfung durch die Polizei zur dargelegten Thematik ab. Dieser Kontext liegt Ihnen offensichtlich nicht vor. Die Inhalte meiner Mail wurden absprachegemäß für eine formal-juristische Prüfung durch das Justiziariat der Polizei („P/J“) und die Staatsanwaltschaft Hamburg zum Gegenstand gemacht, um hier Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die Prüfung dazu ist seit dem 08.09. bei der Staatsanwaltschaft Hamburg anhängig; eine Stellungnahme steht mithin noch aus.

Der von ihnen zitierte Passus der Behörde für Inneres und Sport u.a. ‚Erlaubnis sui generis’ erfolgte in Anlehnung an Verfahrensweisen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ausländerrechtlichen Angelegenheiten, die nicht dem Strafverfolgungszwang (Legalitätsprinzip) unterliegen…“.

Diese Ausführungen versuchen einen Text umzudeuten und umzuerklären, den man nicht umdeuten und umerklären kann. Heisst es doch in der ursprünglichen mail glasklar, dass das Justiziariat der Polizei „im Auftrage der Behördenleitung ersucht (wird), diese Kernaussage im Rahmen einer adressatengerechten Vollzugsinformation im Hause P zu steuern“. Die Kernaussage ist die rechtliche Einschätzung, dass der Rechtsbruch von Bund und Ländern eine Erlaubnis sui generis (eigener Art) sei, die es ausschließe, dass die Ungarn-Flüchtlinge eine unerlaubte Einreise begehen und die „Polizeivollzugsbeamten“ diese nicht zu verfolgen haben. Welche Relevanz eine angebliche Praxis von „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ausländerrechtlichen Angelegenheiten“ (Ausländerbehörde) für die Polizei bei dem Vorgehen gegen Straftaten haben soll, erschließt sich gleichfalls nicht.

Wäre ich Polizeibeamter in Hamburg, würde ich mir auch genau überlegen, ob ich einer solchen Aufforderung zur Strafvereitelung im Amt tatsächlich Folge leiste oder ob die Erosion unseres Rechtsstaates vielleicht doch noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass die Ahndung einer solchen Straftat nicht zu befürchten ist. Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 258 StGB).

Auf die ihm um 13.03 Uhr zugegangene Bitte um Stellungnahme bis 17.00 Uhr hat der Referent des Innensenators nicht reagiert.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2015

Update, um 19:10 ging hier die folgende Stellungnahme des Referenten des Innensenators ein:

Sehr geehrter Herr Steinhöfel,

vielen Dank für die Zusendung Ihrer Mail und den damit verbundenen Nachfragen. Es war mir leider nicht möglich, Ihnen zeitnaher zu antworten.

Zu Ihren Fragen:
Ja, diese Mail ist authentisch und weist mich richtigerweise als Absender aus.

Es handelt sich bei den Inhalten weder um eine Anweisung noch Vollzugsinformation für die Hamburger Polizei!!
Der Inhalt zielt vielmehr auf eine genaue Prüfung durch die Polizei zur dargelegten Thematik ab. Dieser Kontext liegt Ihnen offensichtlich nicht vor.
Die Inhalte meiner Mail wurden absprachegemäß für eine formal-juristische Prüfung durch das Justiziariat der Polizei („P/J“) und die Staatsanwaltschaft Hamburg zum Gegenstand gemacht, um hier Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Die Prüfung dazu ist seit dem 08.09. bei der Staatsanwaltschaft Hamburg anhängig; eine Stellungnahme steht mithin noch aus.

Der von ihnen zitierte Passus der Behörde für Inneres und Sport u.a. „Erlaubnis sui generis“ erfolgte in Anlehnung an Verfahrensweisen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ausländerrechtlichen Angelegenheiten, die nicht dem Strafverfolgungszwang (Legalitätsprinzip) unterliegen und wurde aus dem zuständigen Ressort A 2 (wie in meiner Mail beschrieben: „A20“) beigetragen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen hiermit mehr Klarheit in den Sachverhalt bringen.

Kommentar abgeben

Weitere Informationen und Widerrufshinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Kommentare

  1. staranwalt

    nur am rande-indem die flüchtlinge durch deutsche beamte in das Staatsgebiet eingelassen werden, dürften sich erstere im Hinblick auf etwaige aufenthaltsrechtliche Straftaten zumindest in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befinden. damit verbleibt im Hinblick auf eine evtl vereitelungsstrafbarkeit der Polizisten wohl keinerlei anknüpfungsfähige straftat mehr. nur mal so in den Raum geworfen.

  2. Holperbald

    PS: Ich nehme mal an,die meisten hier sind gegen den Datenabgriff der NSA; würden verschnupft reagieren, wenn Dritte sich in ihren Job einmischen und ihnen mit selbstgerechtem Halbwissen ihre Arbeit erklären wöllten und sie sich dann vor diesen Dritten rechtfertigen müssten und sich dabei auch noch im Recht fühlen würden. Ich finde, in diesem Kontext hat der Herr Neumann mit den Worten „Dieser Kontext liegt Ihnen offensichtlich nicht vor“ sehr freundlich und professionell reagiert.

  3. Holperbald

    Was sagt er denn aus? Dass die Bundesregierung sie eingeladen hat, obgleich sie das im Alleingang und ohne Rechtsgrundlage gemacht hat. Dass sich die Flüchtlinge dadurch um Verbotsirrtum befinden, und die Polizei zwischen den Stühlen steht: zwischen geltenden Gesetzen einerseits und dem Verbotsirrtum, der aus der Aussage von berufener Stelle und der damit verbundenen Straffreiheit andererseits. Darauds resultiert nämlich, dass sich nicht mehr die Flüchtlinge strafbar machen („kein Vorsatz“), sondern die Kanzlerin. Unberührt davon bleiven natürlich Straftaten wie Sachbeschädigung, Nötigung, etc…

    Ich lese nur die Aussage, dass der Beamte auf der Straße sich nicht auf eigene Faust auf Unwägbarkeiten einlassen soll; dass sich das Justizariat der Polizei darum kümmert und die unbefriedigende Situation bekannt ist und schnellstmöglich behoben werden soll.

    Aber Hauptsache, der Stammtisch hat gepoltert….

  4. Mathias

    Überfälliger und eigentlich so wichtiger Artikel, dass er auf die Titelseite in jeder Großzeitung gehört (wenn wir noch Medien hätten, die den Begriff Journalismus verdient hätten):

    Ja, die Regierung begeht tausendfachen Rechtsbruch. Aber warum juristisch in die Ferne schweifen ? Die Antwort lautet § 96 Aufenth: Schleusertätigkeit.
    Wenn man wirklich juristisch etwas findig werden will, dann kann man dies nehmen: § 81 STGB: Hochverrat
    Da der BGH bei „Gewalt“ im Sinne des 81 STgB nicht auf körperliche Gewalt sondern auf das Ausmaße der Auswirkung abstellt, kann man angesichts von tausendfachen Straftaten, Rechtsbeugungen, Strafvereitelungen und der fast schon bewußten Herbeiführung des Bankrottes von Deutschland (Schäuble: „Weiß nicht, wie teuer das alles wird“) schon feststellen, dass Deutschland hier in den Abgrund hineingeführt wird.
    Aber nächstes Jahr beginnt auch bei den Gutmenschen in D. das große Wehklagen: Dann nämlich, wenn sich die 1 Mios Flüchtlinge über Nacht auf 6 Mios versechsfachen über den Familiennachzug.
    Merkel reiht sich ein in die Reihe der „Staatsmänner“, die D. ins vollendet Elend stürzen. Bislang war sie mit 2 Personen eigentlich recht kurz. Merkel hat die „3mal ist Bremer Recht“-Regel dabei irgendwie falsch verstanden.

  5. Alex

    … wann stoppt endlich mal jemand diesen Wahnsinn! Ich warte darauf, das endlich mal unsere Justiz tätig wird und gegen die entsprechenden Personen ein Verfahren wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise/Aufenthalt einleitet, oder wegen Strafvereitelung im Amt! Auch sollte die EU-Kommission ein Verfahren gegen Deutschland einleiten, wegen der Verstöße gegen EU-Recht. Aber nichts tut sich!!!

  6. Thomas Sprute

    Kann den armen Menschen, die ohne Pass flüchten mussten, um sich ihres Lebens zu erhalten, denn nicht nach § 14 II AufenthaltG eine Bescheinigung von den zuständigen Behörden ausgestellt werden? Ich möchte nicht, daß die von mir besoldeten Beamten andere Notleidende in Straftaten rasseln lassen!

  7. Boris Billinger

    Danke, Herr Steinhöfel. Ich hatte Ihnen in dieser Sache bereits eine Mail geschickt: Mit der Anfrage, ob nicht irgendein Rechtsanwalt juristisch gegen den offenen Rechtsbruch vorgehen will…

  8. Boris P.

    Es gibt nichts mehr daran zu deuteln: Deutschland, das Land der von der neuen Sozialistengarde – bestehend aus CDU/CSU, SPD,GRÜNEN, LINKEN usw. – sozialisationstechnisch Richtung unermesslicher Naivität domestizierten Lemminge-Bevölkerung, „hat komplett fertig“! „Herr Steinhöfel und Top-Juristen aller Länder vereinigt euch!“, möchte man ausrufen… Gibt es wenigstens rechtlich noch Chancen, den Wahnsinn zu stoppen?

  9. Thomas

    Angenommen man wird Opfer einer Straftat durch „Flüchtlinge“, die entgegen Dublin III und § 14 AufenthG von der Bundesregierung ins Land gelassen wurden, stehen dem Opfer dann nicht nur Schadensersatzansprüche/Schmerzensgeld von Seiten der tatsächlichen Täter, sondern auch von staatlicher Seite zu?
    Conditio sine qua non?

  10. Timo Norek

    Bei Lektüre dieses Artikels kam mir eine Dokumentation über einen Herrn Roland Freisler in Erinnerung. Genauer meine ich mich daran zu erinnern, dass dort der Zeuge eines der von Herrn Freisler geleiteten Prozesses von einer Szene erzählte, bei der Herr Freisler das auf seinem Richtertisch stehende Gesetzbuch während einer Verhandlung vom Tisch fegte, mit der Bemerkung „das brauchen wir hier nicht“. Ich meine mich ebenfalls daran zu erinnern, dass der Angeklagte in dem dortigen Verfahren zum Tode verurteilt wurde. Natürlich sind das Szenen aus einer fürchterlichen Zeit und ich möchte damit das Verhalten der heutigen Politiker – insbesondere im Hinblick auf die Motive – keinesfalls mit dem eines Herrn Freisler vergleichen, zumal es heute darum zu gehen scheint Gutes zu tun und Menschen in Not zu helfen, was wiederum offenbar nicht das Motiv eines Herrn Freisler war. Es macht mir nur Angst, wenn das geltende Recht scheinbar von denen nicht mehr beachtet wird, die es ganz besonders schützen und erst recht einhalten sollten. Besonders erschreckt es mich, wenn dafür scheinbar ein (willkürlicher?) Hinweis auf höher Werte oder Güter genügt. Sollten sich Politiker hier entgegen dem geltenden Recht verhalten haben, so wäre es nur richtig, sie hierfür zur Veantwortung zu ziehen. Ich wage jedoch zu bezweifeln, dass die hierfür zuständige Stellen hieran auch nur einen ernsthaften Gedanken verschwenden würden.