Zum Euro – Ein System kollabiert

Der Entwurf für einen Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), über den das Kabinett heute berät, ist öffentlich. Der Vertrag stellt ein Ermächtigungsgesetz zur faktischen Abschaffung weitreichender und grundlegender demokratischer Befugnisse der Euro-Länder dar, diesmal ein wenig subtiler eingefädelt und formuliert, als es im Falle des europäischen Verfassungsentwurfes des früheren französischen Präsidenten Giscard d’Estaing oder beim Vertrag von Lissabon der Fall war. Die Einrichtung (Politiker bevorzugen den Begriff „Fazilität“)  soll  auch als Bank agieren dürfen und mit hinterlegten Titeln dann auch von der EZB Geld leihen können. In Wahrheit ist das natürlich nichts anderes als die Umgehung des Staatsfinanzierungsverbots aus der Notenpresse. Augenscheinlich wurde dies nur noch nicht erkannt.

Der Euro wird endgültig ein Macht-, Herrschafts-, Umverteilungs- und Enteignungsinstrument.

Die als „Garantien“ getarnten illegalen Transferleistungen (Art. 125 EU-Verfassung) an andere Staaten gehen zu Lasten des Gestaltungsspielraums der BRD und betreffen Ausgabenoptionen inklusive der Grundversorgungsaufgaben für Schulen, Infrastruktur, Soziales, Verteidigung unmittelbar. Erfolgreichen Nationen werden die Früchte ihrer Arbeit abgenommen und planwirtschaftlich in weniger leistungsfähige oder im faktischen Konkurs befindliche Länder umverteilt.

Dass in den sich schon jetzt wie Protektorate Brüssels gerierenden Ländern wie Griechenland und Irland durch die Geldschwemme Besserungen  eintreten könnten, kann ausgeschlossen werden. Alle Anzeichen deuten auf das Gegenteil hin. Die Zahlungen/Garantien sind unwiderruflich verloren. Für die Bundesrepublik bedeutet dies Lasten, die fast die Höhe eines zweiten Bundeshaushaltes erreichen und in Kürze durchgreifende Auswirkungen auf die Bonität mit entsprechenden  Folgen für die Zinslast haben werden.

Der ESM begründet wesentliche Einschränkungen unserer staatlichen Souveränität, die Budgethoheit des Parlaments ist beendet.

1. Das Grundkapital des ESM beträgt € 700.000.000.000,00 (Art. 8 Abs. 1). Nach Abs. 4. verpflichten sich die ESM-Mitglieder sich bedingungslos und unwiderruflich, ihre Einlage auf das Grundkapital zu leisten. Dem Wortlaut nach sind damit auch zukünftige Regierungen gebunden.

2. Nach Art. 10 Abs. 1 kann der „Gouverneursrat“ (man kann dies mit Zentralkomittee oder Oberstem Sowjet übersetzen) Änderungen des Grundkapitals beschliessen. Was nichts anderes heisst, als das über die € 700.000.000.000,00 hinaus „bedingungslos und unwiderruflich“ weitere Einlagen zu leisten wären, fiele ein solcher Beschluss. Die Frage, ob, wenn Erhöhungen zulässig sind, diese auch erfolgen werden, ist rein rhetorisch.

3. Damit nicht genug. Über das bereits enorme Grundkapital hinaus und über die weitere Möglichkeit, mit einfacher Mehrheit dessen Aufstockung zu beschliessen, ist der ESM gem. Art. 17 Abs. 1 ermächtigt, zur Erfüllung seiner Aufgaben auf den Kapitalmärkten Kredite von Banken, Finanzinstituten oder sonstigen Personen oder Einrichtungen aufzunehmen. Eine parlamentarische Kontrolle ist nicht vorgesehen. Denn die Modalitäten der Kreditaufnahmen werden lediglich vom Geschäftsführenden Direktor im Einklang mit den die Einzelheiten regelnden, vom Direktorium zu verabschiedenden Leitlinien bestimmt (Abs. 2).

4. Dass alles mit rechten Dingen zugeht, gewährleistet Art. 25 („Externe Rechnungsprüfung“). „Die Prüfung der Rechnungsführung des ESM erfolgt durch unabhängige externe Prüfer, die vom Gouverneursrat bestätigt werden.“ Eine gelungene Garantie für Unabhängigkeit, wenn der zu Prüfende ich seinen Prüfer selber aussuchen darf.

5. Durch die Immunitätsregeln (Art. 27 und 30) sind das Konstrukt ESM und dessen Organe jeglicher gerichtlicher und parlamentarischer Kontrolle vollständig entzogen.

„Der ESM, sein Eigentum, seine Finanzmittel und Vermögenswerte genießen unabhängig von ihrem Standort und Besitzer umfassende gerichtliche Immunität“.

„Das Eigentum, die Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM sind unabhängig davon, wo und in wessen Besitz sie sich befinden, von Zugriff durch Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jede andere Form der Inbesitznahme, Wegnahme oder Zwangsvollstreckung durch Regierungshandeln oder auf dem Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzesweg befreit.“

„Die Archive des ESM und alle ihm gehörenden oder in seinem Besitz befindlichen
Dokumente im Allgemeinen sind unverletzlich.“

„Die Räumlichkeiten des ESM sind unverletzlich.“

„Die Gouverneursratsmitglieder, stellvertretenden Gouverneursratsmitglieder, Direktoren, stellvertretenden Direktoren, der Geschäftsführende Direktor und das Personal genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich der in ihrer amtlichen Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit in Bezug auf ihre amtlichen Schriftstücke…“.

Der ESM ist ein grob verfassungswidriges Konstrukt, das auf die Abschaffung grosser Teile unserer verfassungsmäßigen Ordnung und unserer freiheitlichen parlamentarischen Demokratie gerichtet ist. So muss es wohl auch sein, wenn denn die Einführung von quasi-planwirtschaftlichen Vorgaben (siehe Ziffer 3 der Präambel) eines der Kernziele des Vertrages ist:

„Die strenge Einhaltung des Rahmenwerks der Europäischen Union, der integrierten
makroökonomischen Überwachung, insbesondere des Stabilitäts- und Wachstumspaktes….“

Der Gesetzentwurf spricht die Sprache der Panik, der Angst. Die Handelnden sind von jeglicher parlamentarischer Kontrolle befreit und verfügen über Hoheits- und Regierungsrechte gegenüber Nationalstaaten. Ihnen fehlt jede demokratische Legitimation. Sie werden auch nicht mehr nach ihrer Verantwortung gefragt. Sie können allenfalls abberufen werden, sind aber ansonsten gegenüber jeglicher Inanspruchnahme vollständig immun. Hier liegt ein Regelwerk vor, dem jegliche Moralität fehlt. Das im Kern anti-demokratisch ist. Der ESM würde eine Geheim-Loge, die über die Köpfe der europäischen Bevölkerungen hinweg nahezu unkontrolliert agieren und mittelbar (durch Inflationierung oder Besteuerung zur Finanzierung der Transfers) über die Privatvermögen verfügen kann, wenn die Parlamente im Wege kollektiven, europaweiten Verfassungsbruchs dieses Konstrukt zum Leben erwecken. Dieser Vertrag gehört in die Reihe der Ermächtigungsgesetze der ersten Hälfte des vorherigen Jahrhunderts, die ebenfalls verfassungswidrige aussergewöhnliche Vollmachten aufgrund von angeblichen Krisensituationen gewährt haben.

Die Regierung und die Regierungskoalition versagen in dieser Krise vollständig. Die Opposition verlangt gar noch schnelleres Agieren. Dass das Bundesverfassungsgericht mit dem für den 7. September avisierten Urteil die Verfassungswidrigkeit des Euro-Rettungsschirmes feststellen wird, glauben nur unverbesserliche Optimisten. Ein weiteres Beispiel für das Versagen der letzten nationalen juristischen Instanz in Hinblick auf die EU.

Der Euro in seiner jetzigen Gestalt hat keine Überlebenschance. Offen ist allein, ob das Konstrukt durch Austritt von unrettbar verschuldeten Ländern wie Griechenland oder durch Austritt von Zahlmeistern wie der Bundesrepublik sein Gesicht ändert. Offen ist weiter, ob diese Schritte durch gesellschaftliche Unruhen oder den bei Etablierung des ESM mittelfristig unvermeidbaren Staatsbankrott Deutschlands erzwungen werden. Sicher ist nur, dass der Euro, wie wir ihn kennen, tot ist. Requiescat in pace!

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2011

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Kommentare

  1. Was passiert, wenn es eine Schwemme von Geld gibt, das letztlich immer weniger Wert ist, hat man in Euroland schon erfahren. Da sind über Nacht beispielsweise das Bier von 3,00 DM auf 3 EUR aufgeschlagen. Nur ein Beispiel. Aber damit nicht genug. Wenn Staaten Geld in Staaten pumpen, das diese wahrscheinlich nie wieder erhalten, könnte die Prognose sein, dass noch mehr Inflation entsteht. Die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismuses ist erfolgt, und Geld wurde wieder in Griechenland gepumpt oder andere Pleitestaaten.

  2. laser

    Michael Bender 70372 schreibt am 19. September 2011 um 23:35

    Ein Aufruf an JS,

    also machen wir uns nichts vor, in Berlin brennt der Baum, der Wahlkampf in den USA zieht an(ich kann es gar nicht abwarten das Perry antritt),und weiß der Geier was noch so los ist in der Welt, und von Ihnen hört man wieder mal – nichts – .

    Schlisse mich dem Aufruf an

  3. Michael Bender 70372

    „Von Banken und großen Konzernen de facto entmachtete, den Finanzmärkten völlig ahnungslos und machtlos gegenüber stehende Teleprompter-Ableser und Sprücheklopfer benötigt der Wähler wohl eher nicht. Da ist auch eine Krise der Demokratie zu erkennen.“

    Aber das ist doch die Frage, wie kann eine Krise in der Finanzwelt zu einer Krise der Demokratie werden, und die ist norhanden gat keine Frage.

    Denn eins muss doch Konsens sein. „Die Politik“ muss immer noch die Richtlinenkompetenz besitzen. Also : Occupy Wall Street, oder andere Maßmahmen ? So wie bisher kann es ja nicht weitergehen.

  4. NUB

    Die Frage, wozu wir überhaupt noch eine Bundeskanzlerin und eine Bundesregierung benötigen, wenn die Geldpolitik und Wirtschaftspolitik weitgehend europaweit diktiert wird, ist absolut berechtigt. Dafür würde der Bundespräsident mit rein repräsentativen Aufgaben und ein paar kritischen gesellschaftlichen Anmerkungen wohl genügen. Von Banken und großen Konzernen de facto entmachtete, den Finanzmärkten völlig ahnungslos und machtlos gegenüber stehende Teleprompter-Ableser und Sprücheklopfer benötigt der Wähler wohl eher nicht. Da ist auch eine Krise der Demokratie zu erkennen.

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