Es ist dramatisch, mit welcher Geschwindigkeit Präsident Barack Obamas Zustimmungsraten in den Meinungsumfragen von 70 % auf nur noch 50 % gefallen sind. Niedrige Zustimmungsraten sind in der jüngeren politischen Geschichte der USA nichts Ungewöhnliches. Bemerkenswert ist, wie rapide der Abstieg erfolgte. Hauptursache ist das ideologische dilettieren der US-Administration mit der Neuerfindung der Krankenversicherung. Die öffentliche Zustimmung zu den Plänen der Regierung ist mit 42 % auf ein neues Tief gefallen. Die Mehrheit der Wähler (54 %) befürwortet keine neue Gesetzgebung statt die Verabschiedung der vorgesehenen. Und nur wenige Monate, nachdem der Allwissende, Nie-Irrende und Allmächtige Obama mit großem TamTam als Heilsbringer inthronisiert wurde, liegen die Republikaner – trotz nicht gerade berauschenden Personals – mit 43 % zu 38 % so weit vor den Demokraten, wie seit sieben Jahren nicht mehr.
Jeder Bundesbürger meint zu wissen, dass das amerikanische Gesundheitssystem eine einzige Katastrophe ist. Millionen Amerikaner ohne Krankenversicherung, bankrotte Kranke, weil die Rücklagen für Operationen draufgingen. Das soll schlimmer sein, als sich auf die Versprechungen einer Bundesgesundheitsministerin zu verlassen, die weder politische Leistungen in ihrem Fachbereich vorzuweisen hat, noch die Fähigkeit besitzt, sich halbwegs akzentfrei zu artikulieren. Es ist für den an den paternalistischen Staat gewöhnten Bürger unvorstellbar, dass es Millionen von Amerikanern gibt, die sich – freiwillig – gegen eine Krankenversicherung entscheiden. Junge Leute, Illegale, oder US-Bürger, die ihre Investitionsentscheidungen, wenngleich ausreichend wohlhabend, zu Lasten des Abschlusses einer Krankenversicherung treffen. Trotzdem überleben Amerikaner mit Krebs oder Herzkrankheiten länger, als irgendwo sonst auf diesem Planeten.
Ich bin weit davon entfernt, das aktuelle US-System als fehlerfrei zu erachten. Ich bin aber mit der Mehrheit der – aufgebrachten – Amerikaner ebenfalls der Auffassung, dass die aktuellen Pläne zur Änderung des leistungsfähigen aber ineffizienten und zu teuren Systems, doktrinär und verfehlt sind. Enorme Schuldenberge wären das eine Ergebnis der Obama-Pläne. Die Verlagerung medizinischer Entscheidungen von Doktor und Patient in die Hände von Bürokraten in Washington die andere. Die Regierung entscheidet über Leben und Tod, Behandlung oder deren Abbruch. Chronisch Kranke und die Versorgung von Menschen an ihrem Lebensende verursachen etwa 80 % der medizinischen Kosten, erklärte Präsident Obama in einem Interview mit der New York Times vom 14. April 2009. Und um diese Kosten zu senken, sagte Obama:
„Es ist schwer vorstellbar, daß in unserem Land solche Entscheidungen durch die normalen politischen Kanäle getroffen warden könnten. Darum brauchen wir die Anleitung einer unabhängigen Gruppe“.
Klingt doch wirklich nett. Gemeint ist ein Forum von Bürokraten, die entscheiden, wann die medizinische Betreuung für das Gemeinwesen zu teuer wird und einzustellen ist. Die politischen Gegner nennen das Todesausschuß (death panel).
Das amerikanische Schadensersatzrecht macht es möglich, Ärzte und Krankenhäuser zu aberwitzigen Zahlungen zu verurteilen, wenn ein ärztlicher Kunstfehler passiert. Eine seriöse Studie hat ergeben, dass etwa ein Viertel der gesamten medizinischen Maßnahmen defensiver Natur und aus ärztlicher Sicht nicht notwendig sind, sondern lediglich dem Schutz vor möglichen Schadensersatzprozessen dienen. Schätzungen ergeben Kosten für diese überflüssigen Maßnahmen von bis zu 200 Mrd. pro Jahr. Oder $ 5.000,00 pro Jahr für jeden derzeit nicht krankenversicherten Amerikaner.
Zwar will Obama ganz Amerika verändern. Die Reform des Schadensersatzrechts (tort reform) steht jedoch bei den Demokraten nicht ganz oben auf Liste ihrer Vorhaben. Die Dems sind die hauptsächlichen Empfänger großer Spenden der Schadensersatzanwälte (John Edwards, 2004 Vizepräsidentschaftskandidat von John Kerry, ist einer von ihnen), die ein Drittel der Klagesummen einstreichen. Kumpanei mit den Profiteuren steht einer lange überfälligen und dringend notwenigen Reform im Wege.
Die Mehrheit hierzulande hat sich zwischenzeitlich daran gewöhnt, dass der Arzt nicht das Medikament verschreiben darf, das er für das Richtige hält oder gar nichts mehr verordnen kann, weil er seine von den Kassen gesetzten Limite überschritten hat. Eine groteske, aberwitzige und perverse Rechtslage. In Europa hat es insoweit geklappt mit Gleichschaltung und Bevormundung. Mit Parolen wie der, man solle die soziale Herkunft nicht an den Zähnen erkennen können. Über die Entmündigung in ureigensten Belangen regt man sich in der BRD nicht mehr auf. Die Amerikaner gehen auf die Barrikaden und strafen ihren kürzlich noch gefeierten Messias brutal ab. Sie erkennen, dass es Obama tatsächlich um eine grundsätzliche Änderung des Verhältnisses von Bürger und Staat geht. Um eine Degradierung des Bürgers zum Statisten in eigenen Belangen, bevormundet von einer Bürokratie, die sich berufen fühlt, die Belange freier Bürger bis ins letzte Detail zu regeln. Seine Reform der Krankenversicherung ist mausetot. Hybris und Arroganz der Demokraten nicht. Kolumnist David Brooks nennt es den „Liberal Suicide March“.
© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2009
UPDATES: Charles Krauthammer – The Truth About Death Counseling
Bill O’Reilly – Obama Goes Preacher Mode On Health Care
Den meisten Amerikanern geht es doch einfach darum: der Staat soll sich gefälligst raushalten. Oder denken die Zujubler des maroden deutschen Krankenkassensystems inkl. Praxisgebühr etwa, die Amerikaner würden sich unser System nicht genau ansehen? Die deutsche GKV-Systemik stinkt doch bis in die USA!
Medizinische Entscheidungen sollen also nicht mehr von Doktor und Patient, sondern von Bürokraten getroffen werden. – Hierzu drei Anmerkungen: 1. Ist es nicht ein bisschen seltsam, Herr Steinhöfel, die US-amerikanische Verfassung wie einen Fetisch zu verehren und gleichzeitig den Leuten nicht über den Weg zu trauen, die hauptberuflich dafür sorgen, dass das derart verfasste Gemeinwesen dem geltenden Recht gemäß verwaltet wird? „Bürokrat“, das klingt bei Ihnen ja schon wie „Todesengel“ …
2. Und warum teilen Sie Ihren Leser nicht mit, was es mit diesen „death panels“ tatsächlich auf sich hat? Earl Blumenauer, der für den betreffenden Passus der health care bill verantwortlich zeichnet, geht es doch um eine Beratung, die 1) freiwillig sein soll und 2) von Ärzten erteilt werden soll. Klar, der saftige, polemisch so schön auszubeutende Gegensatz zwischen Halbengel in Weiß und Schreibtischtäter, den Sie hier aufmachen, lässt sich dann nicht mehr halten; aber redlicher wär’s doch allemal … Und überhaupt: Dass Sarah Palin nicht die beste Auskunftsquelle ist, wenn es darum geht, was in der Welt los ist – das müssten Sie doch auch wissen! Immerhin haben Mitglieder von John McCains Wahlkampfteam nach der Niederlage im November ganz schön aus dem Nähkästchen geplaudert (kleiner Ausschnitt aus „The O’Reilly Factor“ vom 5. November 2008: http://www.youtube.com/watch?v=s1ktXKzT_gQ).
3. Wenn Sie Sich stattdessen mal aus gutem Grund gruseln wollen, dann machen Sie Sich lieber folgendes klar: Auch in den USA ist das Gesundheitssystem eine Geschäftssphäre; und die Frage, wie weit man in der mit seinen Bedürfnissen kommt, entscheidet sich wie auch in anderen Abteilungen der Marktwirtschaft am Geld, über das man verfügt – oder auch nicht. Mit anderen Worten: Das Verhältnis Doktor – Patient kommt bisweilen gar nicht erst zustande; dann nämlich nicht, wenn der Kranke nicht über die nötige Zahlungsfähigkeit verfügt und somit gar nicht als Kunde des Dienstleisters Arzt in Frage kommt. Man kann natürlich auch darin noch den souveränen Entscheidungsakt eines in Eigenverantwortung lebenden Bürgers sehen und darüber leuchtende Augen bekommen: Der Mensch entscheidet sich in aller Freiheit dafür, das Geld, das er nicht hat, nicht für die medizinische Versorung auszugeben, die er so dringend benötigt! Man kann sich aber auch fragen, worin eigentlich der Inhalt des gesellschaftlichen Organisationsprinzips Freiheit besteht und was das für die mittellosen Insassen des demokratisch regierten und kapitalistisch bewirtschafteten Freiheitsstalls bedeutet. – Ich empfehle den letztgenannten Zugang.
Die grundsätzliche Frage ist ob die wichtigsten und vitalsten Belange der Wählerschaft durch die von ihnen gewählten Vertreter geregelt und kontrolliert werden sollen, oder ob diese an Wirtschaftsunternehmen „geoutsorced“ werden. Anscheinend kann man ein Großteil der Amerikaner, auch nach den Rentendesaster, immer noch davon überzeugen dass die Vorstandsetagen börsennotierten Großunternehmungen ihre Interessen wahrnehmen können als demokratisch gewählten Volksvertretern. Die US Gesundheitsindustrie ist eine High Profit Sektor, bewegt Billiarden und genißt zahllose Privilegien und Subventionen…….
http://cgis.jpost.com/Blogs/koch/entry/the_insurance_and_drug_industries
..hat aber den Neo Liberalen Vorteil dass die 20% Problemfälle (Arme, Veteranen, Chronish Kranke, Suchtkranke) zum großten Teil aussen vor bleiben und letztendlich vom Steuerzahler aufgefangen werden müssen.
Was die US Amerikaner jetzt zu entscheiden haben ist ob sie als einziges Industrie Nation der Welt auf eine umfassendes Gesundheitssystem verzichten können und ob jeder das Recht auf eine Gesundheitsversorgung zussteht oder ob Millionen ihre Landsleute auf Almosen angewiesen sein sollen.
Lieber Joachim,
Wie großartig das Gesundheitswesen in USA ist, sieht man ja unter anderem daran, daß die US einen glamurösen 44.Platz einnehmen, direkt hinter Kuba und weit hinter u.a. Slovenia, Macau, Bermuda und Portugal. Und einen ebenso wundervollen 50. Platz bei der Lebenserwartung wo sogar die Cayman Islands besser abschneiden.
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/rankorder/2102rank.html
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/rankorder/2091rank.html
Abgesehen davon, sind es nicht die Yuppies die lieber eine Yacht als Krankenversicherung kaufen, denen sie fehlt, sondern Kellner, Kassierer, Köche und ähnliche, die sie eine Lebensunterhalt aus zwei, drei oder vier Teilzeitjobs zusammenstoppeln. Etwas anders zu behaupten ist Quark!
Cheers
Jan
Die Heilungschance bei Krebs ist in Amerika schon seit langem signifikant höher!
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,500982,00.html
Sehr geehrter Herr Barth, anbei nur ein Beispiel: „For prostate cancer, 5-year survival was higher in the USA (92%) than in all 30 of the other participating countries.“ aus: http://www.innovations-report.de/html/berichte/studien/bericht-114506.html
Trotzdem überleben Amerikaner mit Krebs oder Herzkrankheiten länger, als irgendwo sonst auf diesem Planeten.
Können Sie für diese Behauptung eine Quelle nennen?
In sämtlichen Statistiken, die ich in meiner mittlerweile 20jährigen Tätigkeit als Medizinjournalist gesehen habe, sah das nämlich etwas anders aus…
mfg
r.barth
Wie so oft geht es im Kern auch um die Zuständigkeiten des Bundes gegenüber denen der Staaten: http://usaerklaert.wordpress.com/2006/06/25/die-grobstruktur-der-usa-oder-wo-man-vor-bush-am-sichersten-ist/