Merkel = Kohl²

Vor einem Jahr tobte in den Vereinigten Staaten ein Wahlkampf, der die Welt faszinierte. Der zwei unterschiedliche Persönlichkeiten und deren unterschiedliche Auffassungen von Freiheit, Organisation des Gemeinwesens und Amerikas Stellung und Aufgabe in der Welt gegeneinander antreten ließ. In vier Wochen wird auch hierzulande ein neuer Bundestag gewählt. Die Perspektiven für die Zeit danach sind deprimierend. Die Bilanz der Grossen Koalition ist erbarmungswürdig. Ihr Personal Angst einflössend. Man wird es Kanzlerin Merkel zu Gute halten können, dass sie das durch Schröders Amokläufe beschädigte Verhältnis zu den USA wieder auf ein solideres Fundament gestellt hat und Deutschland – mit beträchtlichen Einschränkungen – wieder als halbwegs zuverlässiger Partner bewertet wird. Denkt man an die im klinischen Bereich angesiedelten Strategien, die früheren Anti-Amerika-Gipfeln von Chirac, Schröder und Putin zugrundelagen, ist das wohltuend.

Innenpolitisch hat die Grosse Koalition vollständig versagt. Es gibt keinerlei gesetzgeberische Errungenschaften, die auch nur der Erwähnung wert wären. Sowohl programmatisch, als auch von ihren Wahlergebnissen und angesichts ihres Personals steht die SPD vor ihrem historischen Ende. Sie hat die Aufgabe, die sie sich auferlegte, eine durch und durch sozialdemokratisierte Gesellschaft zu schaffen, erreicht. Wirre Phantasten reden zwar hin und wieder davon, es gebe so etwas wie „neoliberal“ in unserer Gesellschaft und rufen dann schnell den Namen „Ackermann“. Tatsächlich leben wir in einer im wesentlichen ideologisch gleichgeschalteten Gesellschaft, deren Selbstverständnis sich an der abgewirtschafteten Floskel der „Sozialen Gerechtigkeit“ abarbeitet. Und dann sollte man sich die Namen Beck, Steinmeier, Steinbrück und Renate Schmidt auf der Zunge zergehen lassen. Oder die nächste Generation von Genossen vor Augen führen, die tatsächlich noch beängstigender ist: Gabriel, Wowereit, Nahles. Links davon setzen ideologische Rattenfänger wie Gysi und Lafontaine zum sozialistischen Meuchelmord am Gemeinwesen an. Irgendwo dazwischen die Grünen. Eine Partei, die Claudia Roth zur obersten Repräsentantin macht, disqualifiziert sich selbst. Auch wenn sie – mit Jürgen Trittin und gemessen an dessen Mimik in Diskussionsveranstaltungen – den talentiertesten, überlegensten und klügsten Politiker der deutschen Geschichte in ihren Reihen weiß.

War die zweite Hälfte der Ära-Kohl schon unerträglich, so macht Kanzlerin Merkel deutlich, das sie nicht nur von ihrem Vorbild gelernt hat, sondern der Merkelismus den Kohlismus an bleiernem Phlegma und intellektueller Leere noch locker in den Schatten stellt. Zwar ist die Union trotz solcher Amokläufer wie Seehofer personell hauchdünn besser bestückt als die Genossen. Aber wofür Merkel steht, kann auch die Hälfte der CDU-Anhänger (laut Infratest dimap) nicht schlüssig beantworten. Nun, sie steht für Machterhalt und Beharrungskräfte. Sie ändert nichts, will nichts ändern und konzentriert sich darauf, potentielle Gegner wie Niedersachsens Wulff in Schach zu halten. Die CDU-Anhänger bestehen aus Rentnern, sie werden mehr als bei jeder anderen Partei von Arbeitslosen dominiert. Je höher die Bürger qualifiziert und gebildet sind, desto schlechter sieht es für die Christdemokraten aus. Ist das die Anhängerbasis, die sich einen „Ruck“ in Deutschland wünscht ? Wird Merkel vor dem Hintergrund einer derartigen Wählerschaft irgendetwas anpacken ? Merkel sitzt dem strukturellem Stillstand vor. Nichts passiert. Alles soll so bleiben, wie es ist.

Abgesehen von den zuverlässig fehlerhaften aussenpolitischen Reflexen ihres Vorsitzenden Westerwelle gibt es in der FDP zwar einige vernünftige politische Ansätze (Bürokratieabbau, Reformierung der Steuergesetzgebung, Wiederverankerung des Leistungs- und Freiheitsprinzips im Bewusstsein der Bürger). Wenn jedoch am Wahltag kein Wunder geschieht und die FDP ein Ergebnis von 20 % erreicht, wird Merkel ihre voraussichtlich liberalen Bündnispartner perfide ausmanövrieren und die ganze Tragweite des Begriffs Juniorpartner deutlich machen.

Die politischen Perspektiven für dieses Land sind düster.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2009

UPDATE 02. September: Heute liest man zu den Errungenschaften der Grossen Koalition Ähnliches auch in den MSM.

Kommentar abgeben

Weitere Informationen und Widerrufshinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Kommentare

  1. Cicerone

    Also ich meine, dass die FDP sich hinreichend deutlich von anderen Parteien unterscheidet. Man sollte sie wählen. Hinterher kann man dann schauen, was passiert. Wunder sind nicht zu erwarten, aber jeder Schritt in die richtige Richtung ist es wert, getan zu werden.

  2. BUNDESPOPEL

    Düster, düster, düster. Schon wieder hat der Steinhöfel recht.

    Diese Bundeskanzlerin, bar jeder Vision, welche dieses Land gerade jetzt als stringentes Analepticum bräuchte, verwaltet Deutschland wie eine Pausenaufsicht in der Rütli-Schule. Bespuckt, getreten, verlacht — na, von wem ?

    Ein künftiger Kanzler wird ihr Bild aus der Galerie der Vorgänger sofort entfernen.

    „Nein, nein, das geht nicht. Ein Weib, ein Weib.“

    Abdullah wird er heißen oder Mahmood oder Cem. Inschallah.

  3. KampfgegenLinks

    Deutschland hat ein massives moralisches Problem. Eine Verkäuferin wird wegen Dosenpfandes 1,80 entlassen. Als nicht strafbare Gegenleistung haben zum Vergleich Bankmanager dreistellige Milliarden Verzockt. Das ist auch scheints nur ein Kavaliersdelikt. Hier sieht man mal, wie korrupt Politik und Geldhaie verzahnt sind, keine Krähe hakt der anderen ein Auge heraus.
    Nicht nur das hart ersparte Geld ist weg, sondern die Betroffenen werden doppelt bestraft, weil ja auch wieder der dumme Steuerzahler bürgen muß.
    Über die hohe Zahl der Nichwähler braucht man sich nicht wundern, weil man keinen mehr vertrauen kann. Wenn einer Wählen geht, kann er wählen zwischen Sonnenfinsterniss und Sonnenbrand.
    Vor der Wahl „Eure Stimme ist uns Recht“ hinterher „eure Stimme hat keine Rechte “ weil die belügen euch doch daß sich die Balken biegen.
    Grüsse aus Südtirol, da lacht meisten die Sonne, über euch Deutschen lacht bald die ganze Welt.

  4. Crackerjack

    Als Engländer zieh ich meinem Hut vor der deutschen Politik. Währen die Deutschen Führer die gewaltigen Aufgaben der Wiedervereinigung schulterten, ihre Nation aus Bush Jr’s Iraq Katastrophe heraushielten und , bisher jedenfalls, das Tafelsilber der Deutschen, (Rentenkassen, Gesundheitskassen, Bahn, u.s.w) vor den privatisierungs Zugriff der Neo-Liberalen Investitionsmafia bewahrten, steht das Thatcheristische Britanien, genauso wie das Reaganistische Amerika vor dem finanziellen Bankrott und der militärischen komplett Fiasko. Die Deutschen haben bisher ihre Hausaufgeben gemacht, hoffentlich bleibt es so.

  5. Claus

    „Auch wenn sie – mit Jürgen Trittin und gemessen an dessen Mimik in Diskussionsveranstaltungen – den talentiertesten, überlegensten und klügsten Politiker der deutschen Geschichte in ihren Reihen weiß.“

    Ich persönlich halte Renate Künast und Rezzo Schlauch für noch talentierterer.

    Und am klügsten.

  6. Klaus

    Wahrscheinlich ist es zu viel verlangt von der Politik die Umsetzung von Visionen zu verlangen, wenn der Mainstream in der Gesellschaft dem nicht entspricht. Politiker sind keine Wissenschaftler, Philosophen, o.ä. Sie sind Machttechniker und orientieren sich am Machtmöglichen.
    Bei der Politik geht es immer nur um die Machtfrage, in der Regel für Personen und Parteien/Gruppen.
    Ein Mainstreamwechsel muß aus der Gesellschaft kommen. Publizistik und Basisbewegungen können so etwas nur bewirken – wie einst bei den 68ern.
    So weit ist es für ein wirklich liberales Weltbild noch nicht. Wahrscheinlich wird jedoch die nächste Dekade einen Mainstreamwechsel erleben.

  7. Bibliothekar

    Wenn die Politik mit kleinbürgerlichen Gesten und Aktionen dem Volk die selbstgefällige Rolle als gut behüteter Kleinbürger diktiert, so braucht man sich über diesen Stillstand nicht zu wundern.
    Das Agieren der Parteien hat für mich etwas vom Kampf um den Erhalt der eigenen Arbeitsplätze, also der Sicherung von abzuschöpfenden Pfründen auf allen Ebenen, wo man als Berufspolitiker seinen Fuß auf eine existenzsichernde Karriere-Leiter setzen kann.
    Dazu braucht es eben keine Visionen, um die man ringen müßte, die möglicherweise das Risiko der Nichtannahme beinhalten und eine klare politische Positionierung erfodern würden. Nein, man fährt besser in einem selbst kanalisierten Mainstream der wohligen Gerechtigkeit für Jeden und Alles. Hierzu läßt sich mit der gekonnten Agitation und Propaganda immer eine Erfolgsstory vermelden. Und sollten einmal nicht alle auf den Stuhl passen, so nimmt man sich gerne gegenseitig auf den Schoß.
    Nicht die Grundlagen der Entwicklung stehen mehr im Vordergrund, sondern die Beschränkung auf Tagesaufgaben und allerlei unkonkretem Kleinkram.
    Bei dieser Visionslosigkeit kann ich Herrn Steinhöfel nur Recht geben – Es sieht duster aus.

  8. Thomas

    Witzig finde ich ja, dass sowohl „Linke“ wie auch „Konervative“ (bzw. „Neoliberale“ oder „Neocons“) beide der felsenfesten Überzeugung sind, die jeweils andere Seite würde die Welt (oder zumindest Deutschland) beherrschen, besäße ein Meinungsmonopol o.Ä. So kann ich dann, je nach dem auf welchen Blogs ich mich bewege, abwechselnd was über die „durchsozialdemokratisierte“ oder „neoliberalisierte“ SPD/Regierung/Medienlandschaft oder gleich /Gesellschaft lesen.

    Für mich sind das lachhafte Verschwörungstheorien und simple Wahnszenarien, die wenig mit der Realität zu tun haben. Die politische Landschaft ist weit weniger vielseitig als sie sein könnte, aber sie ist nicht gleichgeschaltet. EINEN Mainstream gibt es nicht, in der Gesellschaft schon gar nicht.

    Aber vielleicht ist es für manche Zeitgenossen einfach bequemer, sich in den „die anderen haben die Deutungshoheit + Deutschland geht unter“-Schmollwinkel zurückzuziehen…?

  9. FFF

    Jeder Politiker, der im Wahlkampf den Begriff „Gerechtigkeit“ in den Mund nimmt, hat sich meines Erachtens bereits disqualifiziert.
    Gerechtigkeit ist ein Konzept, das jeder gut findet, und von dem niemand weiß, was das Gegenüber damit meint.

  10. Anonymer Bürger

    Wieder wurde der Blick auf das Falsche gerichtet. Weder gibt es „bessere“ oder „richtigere“ Politiker, noch gibt es die „besseren“ oder „guteren“ Wirtschaftsbosse.

    Die Probleme, innenpolitisch vor allem Gerechtigkeitsprobleme (von den Integrationsproblemen will ich gar nicht erst anfangen, die werden sich in wenigen Jahren ganz von selbst an die Spitze setzen), können nicht durch Politik gelöst werden, denn sie resultieren aus den bestehenden Macht-, Zahlen- und Interessensverhältnissen. Eine gigantische Zahl von Bürgern ist in der Wirtschaftswelt, wie wir sie kennen, einfach überflüssig. Wir sind zu viele Menschen auf zu engem Raum für zu wenig Arbeit. Und es kann niemand vom anderen erwarten, sich anders zu verhalten, als es ihm die Realitäten aufnötigen. Und die Realitäten sind sämtlich ökonomisch definiert. Also werden Chefs weiterhin Leute für 3,50 Euro schuften lassen…

    Keine Partei kann das ändern. Nur mit einem Zwangsprogramm für kurze Zeit, die in die Auflösung der Gesellschaft münden würde. Und dies dann nicht so „friedlich“, wie damals in der DDR.

    Die Politik macht also genau das richtige. Wie immer.

  11. Mal ehrlich: Welche großen ideologischen Unterschiede gibt es zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien denn noch? Von rechts nach links geht es um „soziale Gerechtigkeit“, macht sich der Staat dank seiner offenbar mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestatteten Vasallen daran, den gemeinen Bürger zwangszuentmündigen, während der wackere Kampf gegen den bösen Kapitalismus immer tiefere Spuren hinterlässt (der Zusammenhang zwischen steigender Arbeitslosigkeit und zunehmend wirtschaftsfeindlicherer Politik scheint nicht wirklich jemandem aufzufallen).
    Und je mehr das Land in Grund und Boden regiert wird, desto enger rücken die Parteien zusammen und geben die verunsicherten Wähler jenen ihre Stimme, die „Freibier“ für alle versprechen. Hey, so lange es der Nachbar ist, der dafür zahlen muss …
    Ich sehe leider auch keine Alternativen. Die Neo-Freibeuter kann man schlecht ernstnehmen, radikale Systemveränderungen sind nicht zu erwarten, libertäres Gedankengut wird nicht einmal erwähnt.
    Ich glaube, es war Broder, der vom historischen Irrtum sprach, wonach die BRD die DDR übernommen habe – in Wirklichkeit sei es andersherum gewesen. Leider stimme ich dem zu.

Pingbacks

  1. KDA - Konstruktiv Demokratische Aktion » Blog Archive » Merkel = Kohl²